Annette von Droste-Hülshoff – Am sechsten Sonntage nach Ostern

„Ihr sollt in meinem Namen bitten –
Jetzt wissen wir, daß du Alles weißt.“
In seinem Namen darf ich beten,
Er hat es selber mir gesagt;
Mit seinem Gnadenstempel treten
Vor ihren Schöpfer darf die Magd.
O süßes Anrecht mir gegeben!
O Zuversicht, die ihm entsprießt!
Wie weiß ich heut‘ von keinem Beben,
Wo mich sein Sonnenschein umfließt!

Ich wandle stets in Finsternissen
Ich wandle stets in Finsternissen,
Er war es stets, der Strahlen warf

So tret‘ ich denn in Jesu Namen,
Mein Schöpfer, vor dein Angesicht;
Wo stehn die Blinden und die Lahmen,
Dort ist mein Platz und mein Gericht.
Und bin ich der Geringsten Eine,
Die knieen unter seinem Schild:
Für Alle, Alle ist ja deine
So überreiche Hand gefüllt.

Vertrauend will ich zu dir nahen,
Und spräch‘ auch Törichtes mein Mund,
Nur Gnädiges werd‘ ich empfahen,
Du wirst mir geben was gesund.
Ob schwach und irrend die Gedanken,
Vertrauend bring‘ ich sie dir dar,
Und ziehen wirst du selbst die Schranken
Und treu mein Bestes nehmen wahr.

Ich bitte nicht um Glück der Erden,
Nur um ein Leuchten nun und dann,
Daß sichtbar deine Hände werden,
Ich deine Liebe ahnen kann;
Nur in des Lebens Kümmernissen
Um der Ergebung Gnadengruß:
Dann wirst du schon am besten wissen,
Wie viel ich tragen kann und muß.

Auch nicht um Ruhm will ich dich bitten,
Dem meine Schultern viel zu schwach;
Nur in der Menschenstimmen Mitten
Mir bleibe das Bewußtsein wach,
Daß, wie die Meinung kreist und rennet,
Doch Einer ist, der nimmer irrt,
Und jedes Wort, das ihn nicht kennet,
Mich tausendfach gereuen wird.

Gesundheit, teures Erdenlehen,
Ach, schmerzlich hab‘ ich dich entbehrt!
Doch nur um dieses mag ich flehen:
Die Seele bleibe ungestört,
Daß nicht die wirbelnden Gedanken
Der kranke Dunst bezwingen mag,
Daß durch der bängsten Nebel Schranken
Ich immer ahne deinen Tag.

Nicht arm bin ich an Freundesliebe;
Denn Leidenden ist Jeder gut.
Ob stärken, mindern sich die Triebe,
Das stell‘ ich all‘ in deine Hut.
Nur schütze mich vor jener Milde,
Die meinen Mängeln viel zu still;
Halt du den Spiegel mir zum Bilde,
Wenn Freundes Rechte zögern will!

Ich möchte noch um Vieles bitten,
Doch besser schweigend knie ich hier;
Er, der für mich am Kreuz gelitten,
Mein milder Anwalt steht bei mir.
Ich wandle stets in Finsternissen,
Er war es stets, der Strahlen warf:
Der Alles weiß, sollt‘ er nicht wissen,
Was seine arme Magd bedarf?

aus: Annette von Droste-Hülshoff – Das geistliche Jahr

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