Erstveröffentlichung 19. 4. 2012
4. 4. 2012
„Internet und Wetterkerzen“, ein Artikel in der katholischen Sonntagszeitung für das Bistum Augsburg weckt den Gedanken, lässt die Idee reifen: „Was hältst Du davon, wenn wir nach Ostern Maria Vesperbild besuchen? Wir fragen, ob wir fotografieren dürfen, vielleicht ist sogar ein Gespräch mit Prälat Imkamp drin.“ Murli ist begeistert.
Ich frage nach. Die Antwort kommt prompt: „Natürlich sehr gerne. Unbedingt einen Termin ausmachen.“ Ich bin platt. WOW!
16. 4. 2012
Das nachösterliche Wetter ist reinstes Aprilwetter. „Wenn wir diese Woche nicht nach Maria Vesperbild fahren, dann ist der Urlaub vorbei.“ „Ist gut, ich mache ein Termin für Morgen aus.“ Die Email ist schnell geschrieben, kurz die Bitte um den Wettersegen für unsere Unternehmung angefügt. Die Antwort kommt genau so prompt: „Gerne … Bin leider etwas unter Zeitdruck.“
Gerade hatte ich begonnen, einen Fragenkatalog zu erstellen. Was sind die besonderen Rechte eines Apostolischen Protonotars? Eine der ersten Fragen. Genauer: Die erste Frage, denn den Prälaten unter Zeitdruck wollte ich auf keinen Fall mit tausendmal gestellten Fragen langweilen. Den frisch geladenen MP3-Recorder konnte ich auch zu Hause lassen. Immerhin 300 Gramm weniger zu schleppen.
17. 4. 2012
Die Ankunft
Schönstes Wetter. Um 9:00 Abfahrt in Stuttgart. Zwei Kameras mit dicken Objektiven und Carbonstativ, 3 kg leicht, im Gepäck. Pünktlich gegen 11:00 Ankunft in Maria Vesperbild. Ich will vor der Wallfahrtsdirektion parken. Murli besteht auf Besucherparkplatz. Ihr gehört die Hälfte des WG-Autos, außerdem tritt sie in diesem Fall bestimmter auf. „Du trägst aber das Stativ.“
Kurz geklingelt. „Sie wünschen?“ „Wir möchten zu Prälat Imkamp.“ Ein junger, freundlich vergnügter Mann öffnet die Tür. „Die Bloggerin.“ „Ja, ich bin Freiburgbärin und das ist meine Mitbloggerin Murli.“ Antworte ich wenig gescheit. „Prälat Imkamp feiert in fünf Minuten seine stille Messe, wenn Sie möchten können Sie …“ Weiter kam der freundliche junge Mann nicht. „Natürlich wollen wir“, erwidere ich rasch und schon sind wir auf dem Weg zur Kirche. Murli ächzt mit dem schweren Stativ hinterher. Selbst schuld. Das hätten wir bequemer haben können.
Die Messe
Vorsicht Stufe! Die Mahnung kam zu spät. Die Tür geöffnet, und zack, unerwartet eine Treppenstufe tiefer gelandet. Die zweite Tür geöffnet. Zack. Die Treppenstufe, auf die sich die Warnung bezog. Ich komme gar nicht dazu, meinen Teil über die Treppenstufen und die für mich unnützen Warnungen zu denken. Das was ich sehe verschlägt mir den Atem. Ich kenne viele Bilder der Kirche. Aber jetzt, im Angesicht der Pieta über dem Hochaltar, gerahmt von sakralen Werken barocker Kunst verschlagt es mir jeden Gedanken an misslichen Treppenstufen. Leise und bescheiden nehme ich Platz in einer Bank, entledige mich des fotografischen Equipments, klappe die Kniebank herunter und versinke kniend in andächtigem Staunen.
Nach meinem Gebet setze ich mich. Ich lasse die Pracht der Kirche auf mich einwirken. Behutsam greife ich meine Kamera. Stelle die größte Blende ein, stütze mich auf um bei einer fünfundzwanzigstel Sekunde zwei Probebilder der Pieta zu schießen. Schon der Blick auf den Kameramonitor sagt: „Lass es sein. Ohne Stativ gibt es keine verwacklungsfreien Bilder.“
Die Messe beginnt. Würdevoll, groß, der heiligen Handlung angemessen, schreitet Prälat Imkamp zum Altar. Wie verhalte ich mich? Siedend heiß durchfährt mich dieser Gedanke. Außer uns ist noch eine dritte Frau im Kirchenschiff. Die steht auf. Ich stehe auch auf. Prälat Imkamp betet halblaut das Confiteor. Als sechs- oder siebenjährige hat mir ein Messdiener gesagt, wie ich mich richtig in der Kirche verhalte, wenn ich nicht weiß, was zu tun ist: „Du faltest die Hände wie zum Gebet. Wenn Du nicht weißt, ob Du knien, sitzen oder stehen sollst, dann knie dich einfach hin. So machst Du nichts falsch.“
Ich knie mich hin, falte die Hände und bleibe so die ganze stille Messe. „Kyrie eleison“. Leise antworte ich „Kyrie eleison“. Das „Pater noster“ bete ich leise mit, dann die Kommunion, selbstverständlich kniend und in den Mund. Dann ist die Messe vorbei. Warum, so schießt mir ein Gedanke durch den Kopf, weigern sich heute Priester, ihre tägliche stille Messe zu feiern. Die Zeit ist wie im Fluge vorbeigegangen, die Heiligkeit der Handlung war fast körperlich spürbar. Warum lassen gerade Priester, die auf das Äußerste den Beistand Gottes benötigen, die Chance verstreichen, sich der göttlichen Hilfe zu versichern.
Das Gespräch
Hinter der Sakristei treffen wir den Prälaten. Er habe nicht viel Zeit, aber wir sollen kurz mitkommen, er habe für uns eine Mappe zusammengestellt. Ohne spürbaren Übergang sind wir im Gespräch vertieft. Maria Vesperbild. Die spürbare Präsenz Mariens. Die Situation im Bistum Augsburg. Die Katholiken, die mit der Presse als orgiastische Verstärkung, Bischof Zdarsa das Leben zur Hölle machen. Die „Katholiken“, die mit Aufrufen zum Ungehorsam die Kirche zerstören wollen. Eine geraume Zeit ist vergangen, seit wir Platz nehmen durften. Das Telefon klingelt. „Ich komme gleich.“
Unser Gespräch geht weiter. Prälat Imkamp warmherzig, aber überaus besorgt um die Situation der Kirche in sich. „Dass Menschen vom Glauben abfallen und die Kirche sie wieder zurückholen möchte, ist kirchliche Tradition. Dass aber die Kirche aus sich heraus im deutschsprachigem Raum desinteressiert ist, nur vergleichbar mit dem frühen 19. Jahrhundert, spätem 18. Jahrhundert.“ Der Höhepunkt, die Emser Punktation. Die Emser Punktation war eine im August 1786 beschlossene Erklärung der Erzbischöfe des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Darin wurde die Unabhängigkeit der bischöflichen Gewalt gegenüber der päpstlichen betont. Damals hatte Rom die Macht wiedererlangt, die deutschen Erzbischöfe in die Schranken zu weisen. Heute ist ein Wiedererstarken Roms immer noch nicht in Sicht.
Die Sorge ist groß, die Aussicht, dass die Situation der Kirche sich in überschaubarer Zeit ändert, gering. Hoffnungsschimmer zeichnen sich ab, mehr noch nicht. „Es ist unbegreiflich, dass Priester nicht mehr die stille Messe feiern. Das Breviergebet ist fast völlig verschwunden.“ Prälat Imkamp legt das Breviergebet auch den Laien ans Herz. „Beten Sie das Brevier, es ist den Psalmen entnommen.“
Wenn die kirchlichen Vertreter nicht aus innerster Überzeugung heraus die Positionen der katholischen Kirche vertreten, dann wird die Kirche sich nicht erholen.
Klar und deutlich sagen, wofür die Kirche steht. Klartext eben. „Hoffnung ist bei den jungen Priestern, die langsam wieder anfangen, sich auf das Wesentliche zu besinnen.“ Auf Gott, nicht Gremien.
Während des Gesprächs habe ich bedauert, den Rekorder zu Hause gelassen zu haben. Mit Murli habe ich versucht, die wichtigsten Gedanken zu rekonstruieren und hier kondensiert darzulegen.
Nach geschätzten ein bis eineinhalb Stunden ist unser Gespräch beendet. Ich bekomme eine riesige Mappe ausgehändigt. Alles was dem Prälaten, alles was mir wichtig ist, steckt drin. Die katholische Theologie in Bayern von der Jahrhundertwende bis zum Ende des 2. Weltkriegs. Oder: Sechs Fastenpredigten aus St. Peter in München. „Dazu stehe ich auch heute noch!“ „Fromm“ von Elisabeth von Thurn und Taxis. Einzeltexte, Interviews. Der Packen ist riesig. Ich werde ihn gewissenhaft studieren und hier veröffentlichen. Wir freuen uns riesig über die Geschenkmappe.
Wir sind wieder draußen. Der Himmel sieht nicht mehr ganz bayrisch blau aus, eher grau. „Moment“, sagt Prälat Imkamp, „ich habe noch etwas vergessen.“
Wie ein Lausbub stürmt er die kleine Treppe hoch, verschwindet in der Wallfahrtsdirektion und kommt wieder mit zwei gelb-weißen Regenschirmen. „Die wollte ich Ihnen noch geben“, sagt er freudestrahlend.
Die Fatimagrotte
„Wie Weihnachten“, sagt Murli freudestrahlend. „Ja“, sage ich kurz. Mir geht es genau so. Weihnachten direkt nach Ostern.
Ich schaue mir den Himmel an. Die Wolken sind hell und verbreiten ein gutes diffuses Licht, unangenehme Schlagschatten sind nicht zu befürchten. Wir beschließen die Gunst auszunutzen, bringen unsere Geschenke zum Wagen und machen uns auf den Weg, einen Wunsch Prälat Imkamps zu erfüllen: Die renovierte Grotte zu fotografieren. Die Kirche kann warten. Wir sind zwar heute das erste Mal in Maria Vesperbild, aber mit Sicherheit nicht das letzte Mal.
Eine ganz seltsam fröhliche Stimmung hat in den Stunden, die wir bisher in Maria Vesperbild waren, uns ergriffen. Fast wie Schulmädchen erfreuen wir uns an den Pflanzen, den Kreuzwegstationen, den Heiligenbildern. Das merkwürdige ist, dass auch die anderen Pilger in einer ähnlichen Verfassung zu sein scheinen. Dieser Ort strahlt Zuversicht aus und die färbt ab. Da bedarf es keiner obskuren Esoterik. Maria Vesperbild blüht durch die Anwesenheit Mariens.
An der Grotte angekommen, sehen wir, dass doch etliche Pilger dort sind. Die wollen wir auf keinen Fall stören. Wir verständigen uns kurz, dann macht Murli Freihandbilder und ich versuche das Stativ möglichst störungsfrei für die Pilger in Positur zu bringen. Relativ zügig bekommen wir so etliche Bilder von angenehmer Klarheit und Schärfe.
Dann setzen wir uns auf eine Bank, Murli zündet vor der Gottesmutter Kerzen an und wir verweilen kurz im Gebet.
Der Abschied
Wir bringen unsere Gerätschaft zum Auto, verstauen alles im Kofferraum. Dann geht es wieder zur Kirche. Wir kaufen einige Devotionalien. Darunter eine schwarze Wetterkerze und zwei Rosenkränze. Wir gehen in eine Bank abseits einer Betenden und beten ganz leise den Rosenkranz des Tages. Das schmerzhafte Geheimnis. Passend zur Pieta über dem Hochaltar.
Dann sind wir im Auto. In Ziemetshausen kaufen wir ein paar Brötchen, ein wenig Kuchen und fahren durch mittelschwäbische Bilderbuchlandschaft, bis wir einen geeigneten Picknickplatz finden.
Der Himmel zeigt wieder blau-weiß und die Sonne scheint. Lieber Prälat Imkamp, ihr Wettersegen für unsere Wallfahrt hat fantastische Wirkung gezeigt. Während wir gemütlich in sonnenüberfluteter Landschaft speisen wird uns klar: Das, was wir heute gemacht haben, das, was wir heute erlebt haben, war eine richtige Wallfahrt, keine „fast eine Wallfahrt“. Wir haben nicht nur sehr viele Geschenke aus Maria Vesperbild mitgenommen, sondern auch einen Teil einer unbeschreiblichen Kraft, einer kaum begreifbaren Zuversicht, einen Hauch des Glanzes Gottes. Wir haben in unseren Herzen Maria mitgenommen.