Annette von Droste-Hülshoff – Am Sonntage nach Weihnachten

„Das Kind aber wuchs heran und ward
gestärket, voll der Weisheit, und Gottes
Gnade war mit ihm“

Am Sonntag nach Weihnacht
Am Sonntag nach Weihnacht

An Jahren reif und an Geschicke
Blieb ich ein Kind vor Gottes Augen,
Ein schlimmes Kind voll schwacher Tücke,
Die selber mir zu schaden taugen.
Nicht hat Erfahrung mich bereichert;
Wüst ist mein Kopf, der Busen leer;
Ach keine Frucht hab‘ ich gespeichert
Und schau auch keine Saaten mehr!

Ging so die teure Zeit verloren,
Die über Hoffen zugegeben
Dem Wesen, was noch kaum geboren
Schon schmerzlich kämpfte um sein Leben:
Ich, die den Tod seit Jahren fühle
Sich langsam nagend bis ans Herz,
Weh‘ mir, ich treibe Kinderspiele,
Als sei der Sarg ein Mummenscherz!

In siechen Kindes Haupte dämmert
Das unverstandene Missbehagen;
So, wenn der Grabwurm lauter hämmert,
Fühl‘ bänger ich die Pulse schlagen.
Dann bricht hervor das matte Stöhnen,
Der kranke, schmerzgedämpfte Schrei;
Ich lange mit des Wurmes Dehnen
Sehnsüchtig nach der Arznei.

Doch wenn ein frischer Hauch die welke,
Todsieche Nessel hat berühret,
Dann hält sie sich wie Ros‘ und Nelke
Und meint sich königlich gezieret.
O Leichtsinn, Leichtsinn sonder Gleichen,
Als ob kein Seufzer ihn gestört!
Und doch muß ich vor Gram erbleichen,
Durch meine Seele ging ein Schwert.

Wer mußt‘ so vieles Leid erfahren
An Körpernot und Seelenleiden
Und dennoch in so langen Jahren
Sich von der Welt nicht mochte scheiden:
Ob er als Frevler sich dem Rade,
Als Tor geselle sich dem Spott,
O sei barmherzig, ew’ge Gnade,
Richt ihn als Toren, milder Gott!

Du hast sein siedend Hirn gebildet,
Der Nerven rastlos flatternd Spielen
Nicht von gesundem Blut geschildet,
Weißt seine dumpfe Angst zu fühlen,
Wenn er sich windet unter Schlingen,
Zu mächtig ihm und doch verhaßt,
Er gern ein Opfer möchte bringen,
Wenn es nur seine Hand erfaßt‘.

Was Sünde war, du wirst es richten,
Und meine Strafe muß ich tragen;
Und was Verwirrung, wirst du schlichten,
Weit gnäd’ger, als ich dürfte sagen.
Wenn klar das Haupt, die Fäden löser,
Was dann mein Teil, ich weiß es nicht;
Jetzt kann ich stammeln nur: „Erlöser,
Ich gebe mich in dein Gericht!“

aus: Annette von Droste-Hülshoff – Das geistliche Jahr

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